Andreas Deuschle spricht im Landtag zur Migrationspolitik der Ampel-Koalition, die von der FDP-Landtagsfraktion als "Chance für Baden-Württemberg" empfohlen wird.

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Auf diese Rede habe ich mich nach den gestrigen Ausführungen von Ihnen Herr Dr. Rülke richtig gefreut. So wie gestern, kramten Sie ja schon das ganze Jahr Zitate mal von bedeutenden- mal von unbedeutenden Persönlichkeiten der Zeitgeschichte hervor.

Heute zitiere ich abwechselnd Uli Rülke und Christian Lindner. Und ich kann Ihnen jetzt schon sagen, dass die Zitate der letzten Jahre- so gar nicht zu den nun jüngst angestimmten Ampeltönen passen. Und noch weniger passen die Zitate der letzten Jahre zum heutigen Debattentitel.
Aber warten Sie es ab…

„Die Migrationspolitik der neuen Bundesregierung: eine große Chance auch für Baden-Württemberg.“ So lautet der heutige Debattentitel!

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, lieber Herr Rülke, ich bin mir gar nicht mehr sicher, ob wir hier wirklich von einer „großen Chance“ sprechen können. Oder ob wir es hier nicht doch eher mit einem „großen Missverständnis“ zu tun haben.

Noch im Sommer hielt Christian Lindner eine mögliche Ampel-Koalition für eine – so wörtlich – „theoretische Konstruktion“. Zitat: „Mir fehlt die Fantasie, welches Angebot Herr Scholz und Frau Baerbock der FDP machen könnten.“

Heute wissen wir: Das Angebot sieht zumindest in der Migrationspolitik so aus wie es die FDP so niemals eingehen wollte. Die FDP-Handschrift ist in wesentlichen Punkten Fantasie geblieben. Zumindest, wenn man den FDP-Bundesvorsitzenden und unseren FDP-Fraktionsvorsitzenden beim Wort nimmt.

Herr Lindner hatte sich bis 2018 nämlich noch wiederholt und ausdrücklich dazu bekannt, im Asylstreit eher an der Seite von Horst Seehofer zu stehen.
Mit Blick auf Angela Merkels Flüchtlingskurs meinten Sie, Herr Rülke, im Landtagswahlkampf 2016 sogar:
„Im Grunde hat sie alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte.“ Sie haben demgegenüber für geschlossene Grenzen geworben und sich gegen eine – so wörtlich – „unbegrenzte Willkommenskultur“ gewandt. „Wir machen Politik gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin“, lautete eine stolze Parole von Ihnen.

Die Menschen erwarteten eine andere Einwanderungspolitik, schlussfolgerte auch Christian Lindner seinerzeit und forderte einen Politikwechsel. Deutschland müsse – so Lindner wörtlich! – „seine Politik der grenzenlosen Aufnahmebereitschaft“ beenden.

Zitat vom 05. Oktober 2017 im Handelsblatt: „Die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen, muss reduziert werden. Ich kann noch plastischer formulieren: Wir brauchen mehr Boris Palmer und weniger Claudia Roth,“ so Lindner.

Realität vom 16. Dezember 2021:
Gegen Boris Palmer läuft ein Parteiausschlussverfahren, Christian Lindner wiederum hat die Seiten gewechselt und sitzt am Kabinettstisch Seit‘ an Seit‘ mit Claudia Roth. Im gemeinsamen Koalitionsvertrag steht: „Die Aufnahmebereitschaft in Deutschland und der EU wollen wir stützen und fördern.“

Was für eine Wende!
Eine Wende der FDP – just in dem Moment, wo erstmals seit 2016 wieder die Asylanträge in Deutschland deutlich zunehmen!

Deshalb lohnt es sich, den Koalitionsvertrag mal ein bisschen durchzugehen, den die FDP als große Chance für Baden-Württemberg preist.

Als die Große Koalition den Familiennachzug bei subsidiär Schutzbedürftigen auf 1.000 Menschen pro Monat begrenzt hatte, tönte Herr Lindner noch: Das sei „völlig unvernünftig“! Warum sollten Flüchtlinge ohne dauerhaften Aufenthaltsstatus in Deutschland überhaupt die Familie nachholen können, fragte er 2018.

Sie, Herr Rülke, haben 2017 im Zuge der Jamaika-Sondierungen noch felsenfest behauptet, ein dauerhafter Familiennachzug für Flüchtlinge sei mit der FDP nicht zu machen. Es müsse möglich bleiben, den Familiennachzug auszusetzen bis klar sei, ob der Flüchtling bald zurückkehren muss oder dauerhaften Schutz braucht.

Laut Koalitionsvertrag ist nun aber sogar geplant, subsidiär Geschützte bei der Familienzusammenführung mit den Flüchtlingen auf Basis der Genfer Flüchtlingskonvention gänzlich gleichzustellen. Und zum Familiennachzug bekennt sich die Ampel ausdrücklich.

War alles ein großes Missverständnis?

Während der Flüchtlingskrise 2016 hat Christian Lindner die Große Koalition noch kritisiert: Es kämen Asylsuchende nach Deutschland, „denen man dies mit gutem Grund versagen könnte und müsste.“ Doch Angela Merkel erwecke den Eindruck, „als sei das Asylrecht ein allgemeiner Einwanderungsparagraph.“ Lindner wörtlich: „Das muss ein Ende haben.“
Aus dem einstmals kritisierten Eindruck will die FDP nun laut Koalitionsvertrag aber sogar geltendes Recht machen.

Die Ampel führt mit Stimmen der FDP ein sogenanntes „Chancen-Aufenthaltsrecht“ ein, schafft Arbeitsverbote für nach Deutschland Geflüchtete ab und vermischt so munter die Arbeitsmigration mit den Asylverfahren.

Ein großes Missverständnis?

Thema Seenotrettung: Hier dürfe es „keine Beihilfe zur Schlepper-Kriminalität bei Wirtschaftsmigranten geben“, so die Warnung von Christian Lindner 2019. Deshalb sollten Flüchtlinge selbstverständlich gerettet, aber nicht nach Europa gebracht werden, sondern – Zitat! – „zurück an den Ausgangspunkt ihrer Reise“. Das fand auch Herr Rülke einmal: „Wir werden das Schlepperwesen nur unterbinden, wenn die Flüchtlinge wissen, sie werden wieder nach Afrika zurückgebracht.“

Eine solche klare Festlegung findet sich aber im Koalitionsvertrag nirgends!
Vielmehr ist jetzt ganz allgemein von einer „Rettung an sichere Orte“ die Rede und von einer „fairen Verantwortungsteilung zwischen den Anrainerstaaten des Mittelmeers“.

Wenn da mal nicht große Missverständnisse vorprogrammiert sind!

Aber Papier ist geduldig. So wird im Koalitionsvertrag auch eine „Rückführungsoffensive“ versprochen. Es ist die Rede davon, dass Ausreisen „konsequenter umzusetzen“ seien. Und: Der Bund werde die Länder bei Abschiebungen „künftig stärker unterstützen“. Grundsätzlich: Ja, das wäre in der Tat begrüßenswert.

Aber meine sehr verehrten Damen und Herren von der FDP, im gleichen Atemzug wird von Ihnen lediglich die Freiwilligkeit betont, es wird sogar gleich wieder ein „Abschiebestopp“ ins Spiel gebracht.

Interessant auch hier: Die staatliche Rückkehrförderung soll finanziell besser ausgestattet werden. Etwas, was Herr Rülke mal als „falsches Signal“ klar abgelehnt hatte: „Gut bezahlte freiwillige Ausreisen“ steigerten „lediglich die Attraktivität des Landes für Menschen ohne Asylgrund.“

Die AnkER- oder vergleichbaren Zentren werden von der neuen Bundesregierung dagegen aufgegeben und damit auch ein Instrument zur effizienten Vollstreckung von Ausreisepflichten!

Sie beschwören also im Koalitionsvertrag einerseits die Aufnahmebereitschaft, lassen aber die nötige, die letzte Konsequenz bei Abschiebungen vermissen – zumindest haben Sie von der FDP dazu nichts Handfestes reinverhandelt. Das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ist eine verpasste Chance!

„So lange es Deutschland nicht gelingt, dass Menschen ohne Aufenthaltsrecht wirklich ausreisen, kann man nicht pauschal aufnehmen.“
– So ließ sich Christian Lindner 2019 noch zitieren. 2021 will die FDP davon nichts mehr wissen.

Mit Erlaubnis der Präsidentin darf ich aus der FAZ vom 25. November 2021 zitieren. Da lautet der Befund so:
„Auf [den Feldern Migration, Integration und Staatsangehörigkeitsrecht] breitet die rot-grün-gelbe Allianz die Arme aus wie noch keine deutsche Regierung vor ihr. Zwar erklärt sie, irreguläre Migration reduzieren zu wollen. Aber natürlich nicht auf die harte Tour. Das geht weicher und einfacher: Die Koalition verwandelt irreguläre Migration in reguläre, und das sogar rückwirkend.“

Zitat Ende!

Deshalb: Wir freuen uns ja, wenn Christian Lindner keine Angst mehr hat, sich in einer Bäckerschlange anzustellen! Einem Liberalen steht es immer gut zu Gesicht, Weltoffenheit verinnerlicht zu haben! Aber unter Ordnung und Kontrolle von Migration stellen wir uns als CDU trotzdem immer noch etwas Anderes vor. Es ist eben beides zusammenzubringen: Offenheit und Konsequenz!

In Baden-Württemberg gehen wir hier bereits einen guten Weg.
Teilweise parallel zu den Vorhaben im Ampel-Koalitionsvertrag arbeiten auch wir an einer Änderung der Bleiberechte, klären Geflüchtete in Arbeit gezielt auf und unterstützen beim Erwerb von Aufenthaltstitel.
Wir sind zudem im Land bestrebt, die Spielräume der §§ 25a und b Aufenthaltsgesetz auszunutzen. Hierzu sind Richtlinien des Justizministeriums in Arbeit.

Den nun von der neuen Bundesregierung geplanten Pull-Effekt durch Lockerung vieler Regelungen, insbesondere durch einen Spurwechsel zwischen Asylverfahren und Arbeitsmigration, haben wir im Land aber bewusst ausgeschlossen.

Ja, wir müssen gut integrierten Menschen eine Perspektive geben. Aber müssen wir dafür früher als bisher und mit geringeren Voraussetzungen die deutsche Staatsbürgerschaft erteilen?

Und warum werden die Regelungen zur Identitätserfassung Geflüchteter konterkariert?

Mit den geplanten Regelungen der neuen Bundesregierung laufen wir Gefahr, nicht länger zu wissen, wer ins Land kommt und sich hier aufhält, um nach kurzer Zeit einen dauerhaften Aufenthaltstitel und die Staatsbürgerschaft zu erhalten.

Gerade durch die Möglichkeit einer Identitätsfeststellung anhand einer eidesstattlichen Versicherung werden Tür und Tor geöffnet, Gefährder und Straftäter ins Land zu bringen. Eine, wenn Sie mich fragen, absurde Lösung, die in Fragen der Identität sicher nicht zielführend sein kann.

Bislang wurden Personen, die an der Feststellung der eigenen Identität nicht mitgewirkt haben, mit Arbeitsverboten sanktioniert. Aber die neue Regierung möchte diese Menschen mit einem Aufenthaltstitel nach eidesstattlicher Versicherung belohnen?

Das ist nicht – wie von der Ampel postuliert – ein Fortschritt. Das ist ein Rückschritt.

Lassen Sie mich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, vor diesem Hintergrund nochmals daran erinnern, was Christian Lindner vor einigen Jahren mit Blick auf die Migrationspolitik einmal meinte:

„Ich wünsche mir an der Spitze unseres Staates Entscheider, die nicht mit Gesinnung, sondern mit Verantwortungsethik handeln. Die also nicht nur das edle Motiv sehen, sondern auch die tatsächlichen Folgen.“
Liebe FDP, wie wäre es, wenn Sie sich diesen Wunsch im Bund nun einfach selbst erfüllen? Die große Chance dazu haben Sie jetzt. Nutzen Sie sie.

Vielen Dank.

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